Grafschafter Schulgeschichte

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Leune

Biographien Grafschafter Lehrerinnen und Lehrer

Ein Leben mit weitgespanntem Wirkungskreis

Jörg Leune

Der junge Assessor des Lehramts, Jörg Leune, der im Sommer 1972 mit seiner Frau und Kollegin Mechthild Leune auf Einladung des Gymnasialleiters Hans-Georg Rusch dem Gymnasium in Neuenhaus einen Besuch abstattete, folgte seinem Mut zu unkonventionellen Entscheidungen. Von seinen 13 Göttinger Mitreferendaren verließen nur zwei das vertraute Milieu der Universitätsstadt. Einer davon war er, obwohl er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Göttinger Akademie der Wissenschaften hätte reüssieren können. 

Auf der Reise in die Niedergrafschaft besuchten die beiden noch etliche andere niedersächsische Gymnasien, ohne sich für eins davon erwärmen zu können. Entscheidend war vielmehr, was Rusch ihnen versprach: „Hier können Sie machen, was Sie wollen.“ Natürlich war das übertrieben. Aber doch auch verlockend. Und dieser Verlockung hat Jörg Leune sich mit all ihren Chancen gern hingegeben. Denn er wollte kein Pennal wie früher seine eigenes - mit Schulgebäuden, die wie Kasernen aussahen, und mit Lehrern, die eine Pädagogik im Leibe hatten, die oft auch wie vom Kasernenhof war.

Und so unterrichtete er auf Anregung des unvergessenen Franz-Jürgen Wannenmacher Latein nach einem englischen Unterrichtswerk, dem „Cambridge Latin Course“, einmalig in Niedersachsen und beflügelt vom 70er Jahre-Geist eines Georg Picht. Und als die Kooperative Gesamtschule in Neuenhaus genehmigt wurde, war er engagiert dabei. Als ihr langjähriger didaktischer Leiter und als Studiendirektor am Lise Meitner Gymnasium war er ein Glücksfall für diese Schulen und für die Grafschaft überhaupt. 

Stets erwies er sich als ein enzyklopädisch gebildeter und anregungsstarker Schulmann, der Schul- und Bildungsfragen mit Weitblick anging und dem daneben auch der Alltag des Unterrichtens niemals sauer wurde. Nicht zuletzt deshalb, weil er zu unkonventionellen Auftritten bereit war. Wenn er im Lateinunterricht einer Vokabel Nachdruck verleihen wollte, so stieg er schon mal auf seinen Stuhl. Und wenn das nicht reichte, auch auf den Tisch. Und so sehr er sich in barocker Fülle ganz und gar lehrerzentriert zum Mittelpunkt des Unterrichts zu machen bereit war, so sehr war er auch zum Gegenteil befähigt: Offene Unterrichtsformen, die die Eigentätigkeit der Schüler zur Selbstverständlichkeit machten, praktizierte er von jeher und lange bevor es modisch überbetont wurde. 

Außerhalb des Unterrichts waren seine Kurstreffen in seinem Haus am Ölwall überaus beliebt. Er kochte selbst. Unvergessen sind seine Leistungskursfahrten nach Sorrent, wo er den Schülern mit Blick auf den Golf von Neapel die Welt der Antike erschloss, in der er zu Hause war. Die Fahrten waren so begehrt, dass später auch die Eltern der Lateinschüler darum baten. Und auch gewährt bekamen.

Hochgebildet wie er war, bewährte er sich auch in seinen zahllosen Nebentätigkeiten. Als versierter Kirchenhistoriker stieg er bald bei seiner lutherischen Gemeinde als Lektor in das Predigtamt ein und übte es jahrzehntelang aus, auch in Veldhausen bei den Altreformierten. 

Als Musikkritiker der GN hatte er in der Grafschaft eine aufmerksame Leserschaft, besonders beim Publikum des Neuenhauser Kulturpasses. Seine besondere Liebe gehörte dem Singen und der klassischen Musik. Zusammen mit Kollegen gründete er in den siebziger Jahren die „Capella Cantorum“, die in der Ära von Margret Heckmann das kirchenmusikalische Leben in der Grafschaft prägte.

Jörg Leunes Wirken innerhalb und außerhalb der Grenzen seines Berufs war weit gespannt. Den ihm anvertrauten Menschen ebenso hingegeben wie den Fragen von Unterricht und von Kunst und Wissenschaft, war er als Lehrer durchaus ein Idealist. Aber kein Träumer. Sondern einer, der seine Vorstellungen davon umzusetzen bereit war, was das Menschsein des Menschen ausmacht, auch im Sinne seines gelebten christlichen Glaubens und seiner pädagogischen Grundüberzeugungen.

Wenn man in Neuenhaus in der dunklen Jahreszeit noch einen Abendspaziergang über den Ölwall unternimmt, dann fällt, von Haus Brünemann kommend, der Blick auf ein hübsches kleines Stadthaus mit Zwerchgiebel auf der Frontseite und Erker zum Seifendamm hin. Und wenn alles ringsum schon im Dunkel lag – dann leuchtete im Erkerfenster immer noch die Schreibtischlampe, in deren Schein der Hausherr Jörg Leune vertieft war in das Studium der neuesten "Zeitschrift für Theologie und Kirche" oder gebeugt saß über der Tastatur seines Rechners, um noch seine aktuelle Konzertkritik für die Zeitung abzuschließen. Fast ein Sinnbild für das, was ihm wichtig war.

Jetzt ist das Licht in Jörg Leunes Erkerfenster erloschen. Er starb am 23. Juni 2023 nach kurzer schwerer Krankheit, nur wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag. Er wird uns fehlen. 

Gerhard Herrenbrück
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