Grafschafter Schulgeschichte

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BBS-19

Entwicklung des Berufsbildenden Schulwesens in der Grafschaft Bentheim

Landwirtschaftsschule Neuenhaus

Vorbemerkung

Die Landwirtschaftlichen Berufs-, Berufsfach- und Fachschulen in der Grafschaft Bentheim sind aus zwei unterschiedlichen Schulformen entstanden,
- aus den Landwirtschaftsschulen, die 1903 gegründet wurden und überwiegend in der Trägerschaft der Landwirtschaftskammern standen, und
- aus den Landwirtschaftlichen Berufsschulen, die sich 1938 aus den Ländlichen Fortbildungsschulen entwickelt haben und unter der Aufsicht des Staates standen.

Hieraus entstanden 1976 die Landwirtschaftlichen Berufs-, Berufsfach- und Fachschulen. Mit der Einführung des BGJ ab 1978 fand eine Konzentration des Berufsschulwesens in Nordhorn statt. Der Fachbereich Agrarwirtschaft wurde zunächst mit allen Schulformen bei den Gewerblichen Berufsbildenden Schulen (GBS) geführt, um dann 1988 den Hauswirtschaftlichen Berufsbildenden Schulen (HBS) zugeordnet zu werden.

Dieser Abschnitt geht auf die Geschichte der Landwirtschaftsschule Neuenhaus ein.

1903 - Auf Wunsch der Bauern wird die Landwirtschaftliche Winterschule gegründet. Träger der Schule ist zunächst der Landkreis Grafschaft Bentheim. Als Standort entscheidet er sich nach Auseinandersetzungen mit Bentheim für Neuenhaus, weil aus dem Bereich mehr Schüler kommen. Die Stadt Neuenhaus verpflichtet sich, das Schullocal zu stellen und für die Heizung zu sorgen. Sie stellt im heutigen "alten Rathaus" in der Hauptstraße einen Raum zur Verfügung, der an der Rückseite den Zugang hat. Als Inventar stehen sechs alte kleine Schulbänke zur Verfügung, die von der Schule mit 20 cm langen Klötzen vergrößert werden, dazu ein altes Pult.

Die Winterschule besuchen ab 2. November bis zum 26. März 1904 19 Schüler, die von Direktor Wilhelm  Grashoff unterrichtet werden. Schwerpunktthemen sind der Ackerbau, die Düngung und Ernährung nach den Liebigschen Erkenntnissen und die Ödlandkultivierung. In den allgemeinbildenden Fächern Deutsch, Rechnen und Geometrie unterstützen ihn zwei Lehrer. Ziel der Schule ist eine gute fachlich-theoretische Ausbildung der zukünftigen Betriebsleiter.

Es wird ein Schulkuratorium gebildet, um Schule und Praxis eng miteinander zu verbinden. Dem Schulkuratorium gehören führende Vertreter des landwirtschaftlichen Berufsstandes, der Direktor der Schule sowie der Landrat und der Bürgermeister von Neuenhaus an. Aufsichtsbehörde ist eine Schulkommission der Landwirtschaftskammer Hannover.

1906 erscheint im Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim (Neuenhauser Zeitung) ein Bericht mit dem Titel "Landwirtschaftliche Kreiswinterschule in Neuenhaus", in dem auf die Bedeutung der Landwirtschaftsschule eingegangen wird. Dieser Bericht ist wörtlich beigefügt.

1909 - Im Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim erscheint in der Ausgabe vom 3. April 1909 ein Bericht über die Winterschule. Hierin heißt es u.a.: "Vorigen Montag war der Schluß des Unterrichts an der landwirtschaftlichen Winterschule.

Im Meckelnburg´schen Saale fand eine öffentliche Prüfung statt, zu welcher sich aus der Ober- und Niedergrafschaft etwa 60 Personen als Gäste eingefunden hatten. Als Vertreter des Landrats war Herr Regierungs-Assessor Salémon anwesend. Direktor Grashoff prüfte in Chemie und Tierzucht und Kreistierarzt Dove in Tierheilkunde. Hauptlehrer Wieferink besprach das Steuerwesen und Lehrer Koops die Bedeutung der Wetterkarte. Vier Schüler hielten einen freien Vortrag, und zwar Harger über die Kultur der Heide, Wesselink über die Verdauung, Hoff über allgemeine Düngemittel und Groven über die Bedeutung der Bienenzucht.

Nach der Prüfung hielt Regierungs-Assessor Salémon eine kurze Ansprache, in welcher er dem Lehrpersonal den Dank für die treue Arbeit aussprach und unter anderem die Schüler ermahnte, das Gelernte nun auch in der Praxis zu verwenden, alsdann sei das Geld, das die Schule erfordere, wohlangelegt. Hieraus wurden den angehenden Schülern Entlassungszeugnisse überreicht. ..." (Quelle: Der Grafschafter Nr.4/2009: Die Grafschaft vor hundert Jahren).

1911 - Im "Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim (Bentheimer Zeitung)" vom 1. April 1911 erscheint ein Bericht über die landwirtschaftliche Winterschule, in dem es heißt:

"Zur Schlußprüfung des diesjährigen Winterhalbjahres der landwirtschaftlichen Winterschule des Kreises Grafschaft Bentheim, mit der die Entlassung der Oberklassen verbunden ist, hatten sich am vergangenen Mittwochmorgen reichlich 50 Zuhörer eingefunden. Unter anderem wohnten der Prüfung der Landrat unseres Kreises, Herr Geheimrat Kriege und Regierungsassessor Dr. Loeb bei, sowie verschiedene Herren der Ober- und Niedergrafschaft. Die Prüfung begann mit einem Vortrage des Winterschülers Grewe-Wilsum über die `Bearbeitung des Bodens`.

Danach prüfte Herr Direktor Grashoff in Chemie und Tierzucht. Die zum Teil recht schwierigen Fragen wurden knapp und schnell beantwortet. Alle Schüler zeigten ein sicheres Wissen in diesen beiden für die Landwirtschaft so wichtigen Fächern. Nun folgte der zweite Vortrag des Schülers Hoppen-Osterwald, der die Frage ´Soll sich der Landwirt mit Bienenzucht beschäftigen?´ ausführlich erörterte. Herr Hauptlehrer Wieferink stellte nun Fragen aus der deutschen Grammatik, und nach dem folgenden Vortrag des Schülers Santel-Engden über ´Die Winterarbeiten des Landwirts´prüfte Herr Lehrer Koops im Rechnen. Ein Vortrag über ´Moorkulturen´von dem Schüler Moß-Georgsdorf beschloß die eigentliche Prüfung.

Es nahm Geheimrat Kriege das Wort, um seiner Freude Ausdruck zu geben darüber, daß er der Einladung zur Prüfung gefolgt sei. Hätte ihm die Einsichtnahme in die Arbeiten und Zeugnisse, insbesondere aber auch die heutige Prüfung den Beweis geliefert, daß im verflossenen Jahr gut und mit Erfolg gearbeitet sei. Namens der Kreisverwaltung sprach er dem Lehrerkollegium seinen besonderen Dank aus, er freue sich aber, auch den Schülern seine Anerkennung ausdrücken zu können." (Quelle: Der Grafschafter, April 2011).

1915 -1918 - In den Kriegsjahren von 1915 bis 1918 findet kein Unterricht statt. In dem von Direktor Grashoff geführten Schülerverzeichnis stehen die Bemerkungen: "gefallen in Flandern", "gefallen in Russland", "gefallen in Frankreich". In den Nachkriegsjahren ist der Nachholbedarf sehr groß.

1925 - Es entsteht ein einstöckiger Schulneubau mit Walmdach auf den städtischen Bleichen an der Lager Straße in Neuenhaus. Da 77 Schüler unterzubringen sind, davon 54 Neuanmeldungen für die Unterklasse, muss vorübergehend der Klassenraum  im Rathaus weiterhin benutzt werden. Mit dem Neubau gehen die Gebäudekosten, die bisher die Stadt Neuenhaus getragen hat, an den Landkreis über. Nachfolger von Direktor Grashoff wird Dr. Koch. In den zwanziger Jahren übernimmt die Landwirtskammer Weser-Ems die Trägerschaft, die bis zum Dezember 1975 andauert. Von 1933 bis 1945 führt die Landwirtschaftskammer den Namen "Landesbauernschaft".

1934 - Nachfolger von Direktor Dr. Koch wird Dr. Alfke, der bis 1939 bleibt.

1937 - Die Landesbauernschaft eröffnet an der Landwirtschaftsschule Neuenhaus eine Mädchenabteilung. Erstmals wird der Schulbetrieb Anfang November 1937 bis April 1938 aufgenommen. Die ersten Leiterinnen sind Frau Orth (verh. Meierrose) und Frau Heuer. Nach Ausscheiden von Frau Heuer übernimmt dann Frau Düker - seit April 1940 an der Schule - die Leitung der Mädchenabteilung. Es werden folgende Unterrichtsfächer erteilt: Hauswirtschaftliche Betriebslehre (3 Wochstd.), Kochen und Ernährungslehre (7), Textilkunde mit Waschen, Nadelarbeit, Bügeln, Flicken (6), Gartenbau in Theorie und Praxis (2), Tierhaltung (2), Haustechnik und Naturlehre (4, Hausarbeitslehre (4), Gesundheits- und Krankenpflege (2), Gemeinschaftskunde (3), Religion/musischer Unterricht (2), zusammen 36 Wochenstd.

1943 - Im Schülerverzeichnis, das während des 2. Weltkrieges geführt wird, erfolgt besonders im Jahre 1943 die Bemerkung "Schulbesuch abgebrochen, da zur Wehrmacht eingezogen". Von 1943 bis 1945 findet kein Unterricht statt.

1946 - Nach mehrfachem Wechsel in der Schulleitung während des Krieges übernimmt ab 1946 Dr. Hermann Eggers die Schulleitung, der bis 1962 bleibt.

1952 - Das Gebäude an der Lager Straße bekommt ein zweites Stockwerk. Im Erdgeschoss findet die gewerbliche Berufsschule Unterkunft, die Landwirtschaftsschule bezieht das erste Stockwerk.

Bei einem Treffen von ehemaligen Schülern aus den Jahren 1952/53 und 1953/54 nach 55 Jahren im Jahre 2008 berichten diese:

Im Anschluss an die normale Berufsschule besuchten die Schüler seinerzeit in zwei Winterhalbjahren die landwirtschaftliche Fachschule, um nach dem Abschluss als Meister Lehrlinge ausbilden zu können. Die Fächer Tierzucht, Ackerbau und Chemie spielten eine große Rolle in der "Kohlrappenschoole", wie die Fachschule damals auch scherzhaft genannt wurde. Zu Beginn der fünfziger Jahre hatte die Technik in der Landwirtschaft noch keine große Bedeutung. Es gab keine Trecker und das Auftauchen der ersten 15er Deutz-Traktoren war eine große Sensation. Auf einem einwöchigen Lehrgang bei der Deula in Freren machten die Junglandwirte zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Hydraulik-Technik (GN, 1.11.2008).

1962 - Nachfolger von Direktor Dr. Eggers wird  bis zur Auflösung der Landwirtschaftsschule 1975 Karl Brinkmann.

1963 - Die Aufnahmebedingungen für die Landwirtschaftsschule hat ein Schüler mit dem erfolgreichen Abschluss einer allgemeinbildenden Schule und einer dreijährigen Praxis erfüllt. Nach dem 2. Weltkrieg muss zusätzlich der erfolgreiche Besuch der landwirtschaftlichen Berufsschule nachgewiesen werden.

1975 - In den siebziger Jahren wächst die Einsicht im bäuerlichen Berufsstand, dass die Ausbildung auf dem elterlichen Hof durch ein Fremdlehrjahr in einem anerkannten Ausbildungsbetrieb ergänzt werden muss, um am Ende der dreijährigen Lehrzeit die Gehilfenprüfung abzulegen. Mit der bestandenen Gehilfenprüfung ist die Aufnahmebedingung für die Fachschule erfüllt. Nach dem Besuch der Fachschule nehmen etwa die Hälfte der Fachschulabsolventen an den Kursen der Landwirtschaftskammer teil, die mit der Prüfung zum Landwirtschaftsmeister abschließen.

Die Mädchenabteilung wird bis 1975 in Neuenhaus aufrecht erhalten. Der letzte Jahrgang verlässt im April 1974 die Schule. Der Schulbetrieb wird an die Hauswirtschaftlichen Berufsbildenden Schulen verlegt. Frau Düker wird Ende des Jahres 1975 in den Ruhestand versetzt. Sie verstirbt am 5. September 2005 im Alter von 93 Jahren in Neuenhaus.

In dieser Zeit verändern neue Stallhaltungsformen - zunächst in der Rinderzucht, dann in der Schweinehaltung - auch die Strukturen der Viehhaltung. Der Boxenlaufstall, der Spaltenboden, der Fischgrätenmelkstand, die Milchkühlwanne, die Güllewirtschaft und letztlich die computergesteuerte Kraftfutter-Fütterungsanlage seien als Stichworte genannt. Der Unterricht an der Fachschule hat sich neben dem Einsatz von Schleppern und der neuen Landtechnik auch diesen Themen zu stellen. Die Landwirtschaftskammer legt deshalb großen Wert auf die Fortbildung der Fachlehrer. Jährlich finden ein- und mehrwöchige Lehrgänge statt, in denen die jeweiligen Problemkreise von Experten praxisnah angesprochen werden.

In den Schülerverzeichnissen der Jahre 1903 bis 1975 sind 1789 Schüler registriert, d.h. je Jahrgang rund 25 Schüler. Die Jahrgangsstärke war jedoch sehr unterschiedlich.

1976 - Am 1. Januar 1976 geht die Landwirtschaftsschule von der Landwirtschaftskammer Weser-Ems in die Zuständigkeit des Nds. Kultusministeriums über. Sie wird als einjährige Fachschule Landbau ein Teil der Landwirtschaftlichen Berufs-, Berufsfach- und Fachschulen. Wegen der in Nordhorn noch nicht abgeschlossenen Baumaßnahmen verbleibt die einjährige Fachschule noch bis zum 1.8.1978 am Standort der Außenstelle der Landwirtschaftskammer Weser-Ems in Neuenhaus. Die Gebäude an der Lager Straße in Neuenhaus werden dann bis 1993 weiter von der Landwirtschaftskammer genutzt. Damit endet die Geschichte der Landwirtschaftsschule Neuenhaus.

2010 - Die ehemaligen landwirtschaftlichen Fachschüler des Abschlussjahrgangs 1965 treffen sich zu einem Wiedersehen in Neuenhaus. Vor 45 Jahren haben sie ihre Abschlussprüfung zum "Staatlich geprüften Wirtschafter" in der ehemaligen Fachschule in Neuenhaus abgelegt. Die 21 Landwirte, die mittlerweise fast alle Rentner sind, freuen sich auch über die Anwesenheit ihres damaligen Lehrers Wilhelm Löffers. Er unterrichtete u.a. Acker- und Pflanzenbau, Landtechnik und Betriebslehre. Die Landwirtschaftsschüler besuchten in den Wintermonaten 1963/64 und 1964/65 den Unterricht. Von den 21 ehemaligen Landwirtschaftsschülern sind fast alle in der Grafschaft geblieben, einen zog es nach Ostfriesland, ein anderer lebt im Kreis Osnabrück. Zwei konnten nicht dabei sein, einer ist inzwischen gestorben. 14 haben zu Hause einen landwirtschaftlichen Betrieb, der aber zum größten Teil schon von der nächsten Generation bewirtschaftet wird (GN, 30.12.2010).

2012 - Klassentreffen nach 50 Jahren - Erinnerungen an "Puddingschole"

50 Jahre nach ihrer Entlassung treffen sich 23 ehemalige Schülerinnen der Landwirtschaftsschule Neuenhaus zu einer Wiedersehensfeier in der Gaststätte Otten in Osterwald. Sie gehörten der Mädchenabteilung der freiwilligen Schule an, die am Oelweg ihr Zuhause hatten. Die Schülerinnen kamen aus allen Teilen der Niedergrafschaft und aus Nordhorn. Der Unterricht sollte die noch unverheirateten jungen Frauen in einem Winterhalbjahr auf die vielfältigen Aufgaben vorbereiten, die als Bäuerinnen auf sie warteten. Auf dem Stundenplan standen u.a. Hauswirtschaftliche Betriebslehre, Gartenbau, Gesundheitspflege sowie Textilkunde mit Waschen, Nadelarbeit, Bügeln und Flicken.

Weil die Schule von morgens bis in den späten Nachmittag dauerte, wurde das mittägliche Kochen praktischerweise gleich in den Unterricht mit einbezogen. Jeweils eine Hälfte der Klasse versorgte die andere mit. Schnittchen und Gebäck bereiteten die jungen Damen zu, wenn einmal im Monat die Schüler von der Jungenabteilung der Landwirtschaftsschule an der Lager Straße vorbeischauten.

"De Kohlrapenschole besökt de Puddingschole", hieß es damals scherzhaft. Heute genießen die Ehemaligen ihren Ruhestand. Auf den Bauernhöfen hat längst die nächste Generation das Ruder übernommen oder aber die Landwirtschaft ist ganz aufgegeben worden. Auf jeden Fall hatten sich die Frauen sehr viel zu erzählen, denn seit dem letzten Treffen waren 25 Jahre vergangen. Das Abschlussbild aus dem Jahr 1962 zeigt die ehemaligen Schülerinnen mit ihrer Lehrerin Margarete Düker, alle einheitlich gekleidet in blau-weiß karierten Kleidern. Diese wurden selbst hergestellt, das Nähen war Teil des Unterrichts. (GW, 4.4.2012)

Viele Veränderungen in 50 Jahren

Nach 50 Jahren trafen sich die ehemaligen Schüler der Neuenhauser Landwirtschaftsschule in der Gaststätte Otten in Osterwald. Viel Applaus gab es für den ehemaligen Lehrer Wilhelm Löffers, der einen Blick auf die vergangenen fünf Jahrzehnte warf. Hierbei zeigte sich den Anwesenden, dass im Bereich der Landwirtschaft enorme Entwicklungen stattgefunden haben. (GN, 15.6.2012)

Quellen:
100 Jahre Einjährige Fachschule Agrarwirtschaft im Landkreis Grafschaft Bentheim, 2004
Wilhelm Löffers, 100 Jahre Landwirtschaftsschule
Geert Vischer, Die Landwirtschaftsschule Bentheim

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